Inklusiver Mathematikunterricht - Noviz:innen und Expert:innen. Professionalisierung von Lehrkräften für inklusiven Mathematikunterricht in der Sekundarstufe
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Inklusiver Mathematikunterricht - Noviz:innen und Expert:innen. Professionalisierung von Lehrkräften für inklusiven Mathematikunterricht in der Sekundarstufe
Das Projekt folgte einem interdisziplinären Zugriff – Fachdidaktik und allgemeine Didaktik bzw. inklusive Didaktik. Es nahm die Expertisen und Kompetenzen für die professionelle Ausgestaltung inklusiven Mathematikunterrichts in zweierlei Hinsicht in den Blick:
aus der Sicht erfahrener Lehrpersonen: Überzeugungen (Beliefs) sowie Kompetenzen
aus der Sicht von Masterstudierenden in einem sekundarstufenbezogenen Lehramt: Beschreibungen, Reflexionen und Überzeugungen
Ziel des Vorhabens war die Genese genaueren Wissens zu der Frage, wie die Qualifizierung von Lehrpersonen auf inklusiven Mathematikunterricht in der Sekundarstufe ausgerichtet werden kann und wie der Erwerb von professionellen Kompetenzen sowie von Wissen zum professionellen Umgang mit Diversität im Fachunterricht unterstützt werden kann.
Während in vielfältigen Studien belegt wurde, dass sich die Einstellungen von Lehrpersonen gegenüber Heterogenität und Inklusion im Unterricht insgesamt positiv entwickeln, wenn sie über entsprechende Praxiserfahrungen und Wissen verfügen, gibt es bislang nur wenig Erkenntnisse darüber, welche spezifischen Expert:innenschaften Lehrpersonen im inklusiven Fachunterricht aufbauen – dies gilt insbesondere bezogen auf die Sekundarstufe – und wie dieser Professionalisierungsprozess durch eine entsprechend gezielte Qualifizierung in der Universität vorbereitet werden kann. Das Projekt nahm daher unter der Klammer einer professionalisierungsbezogenen Forschungsfrage die Expertisen und Kompetenzen für inklusiven Mathematikunterricht in der Sekundarstufe aus der Sicht von erfahrenen Lehrpersonen und aus der Sicht von Masterstudierenden in einem sekundarstufenbezogenen Lehramt in den Blick.
IMAgiNE erhob zwei Datensätze – Interviewsätze mit Expert:innen und Noviz:innen und Videovignetten aus dem inklusiven Mathematikunterricht. Zunächst erfolgte in einer Pilotstudie die Auswahl und die Erprobung von Videovignetten. Auf der Grundlage der ausgewählten Videovignetten wurde die Haupterhebung im Detail konzipiert und es wurden Interviews mit Expert:innen und Noviz:innen ausgearbeitet. Die erhobenen Daten wurden bezogen auf die Beliefs und Kompetenzen mit Blick auf die beiden Disziplinen Bildungswissenschaften und Mathematikdidaktik ausgewertet. So sollten die unterschiedlichen Sichtweisen der bildungswissenschaftlichen und mathematikdidaktischen Annäherung an die professionstheoretische Fragestellung als Komplemente gewinnbringend zusammengeführt werden.
Die Professionalisierung (angehender) Lehrpersonen für inklusiven Unterricht ist ein wesentlicher Prädiktor für die inklusionsbezogene Weiterentwicklung von Schulen. Das Forschungsprojekt IMAgINE widmete sich der Beschreibung und Analyse des Kompetenzerwerbs für inklusiven Mathematikunterricht. Die gewonnenen Erkenntnisse beziehen sich auf die Konzeptualisierung der Expertisen von erfahrenen Lehrpersonen und Noviz:innen:
Unsere Befunde zeigen zusammenfassend, dass Lehrpersonen mit Expertise für inklusiven Mathematikunterricht in der Sekundarstufe bestrebt sind, die Leistungsfähigkeit aller Lernenden anzuerkennen und (wieder) herzustellen, da diese in ihrer Wahrnehmung oftmals mit negativen Selbstwahrnehmungen in Bezug auf das Fach Mathematik einhergehen und/oder nicht anschlussfähig sind an die curricularen Vorgaben zu Wissensbeständen.
Leistungen im Mathematikunterricht werden dabei nicht als reine Darlegung von Wissen in Prüfungssituationen verstanden, vielmehr wird einem prozessbezogenen Leistungsverständnis gefolgt, in das individuelle Stärken und Spezifika einfließen (Seitz et al., 2020; Seitz & Wilke, 2021). Dabei zeigen sich in den daran anschließenden Handlungspraktiken der Lehrkräfte Divergenzen. So nutzen Teile der Befragten Mechanismen der inneren und äußeren Differenzierung und lassen dadurch die Anpassung an schulische und administrative Vorgaben zum zentralen Element der Leistungsbeurteilung werden. Andere setzen sich pädagogisch reflektiert bewusst über administrative Vorgaben und deren schulische Wendungen hinweg, wenn diese für das Lernen und Leisten der Schüler:innen als hinderlich erlebt werden und nutzen entsprechende Gestaltungsspielräume. In diesem Kontext brauchbarer Illegalität (Luhmann, 1987) wird der Fortschritt der Lernenden primär unter einer kriterial-individuellen Bezugsnorm betrachtet, was den Lehrpersonen eine pädagogisch konsistente individuelle Förderung aller Lernenden auch unter den dysfunktionalen Vorgaben unterschiedlicher Curricula ermöglicht (Seitz & Wilke, 2021, Seitz et al., 2020).
In Bezug auf den Einsatz von Aufgaben im Mathematikunterricht zeigte sich die erwartete Vernetzung allerdings nicht explizit und durchgehend in den Aussagen der Lehrpersonen. Vor allem die gegenstandsspezifischen Argumentationen und eine genaue Analyse der Zusammenhänge zwischen dem fachlichen Gegenstand, den Voraussetzungen und den Möglichkeiten eines fachlichen Diskurses im Unterricht bei unterschiedlichen Zugängen erwies sich als anspruchsvoll (Häsel-Weide et al., 2021).
Die Noviz:innen formulieren Bedarfe im Aufbau von inklusionsspezifischem Wissen und Handlungspotentialen. Auch sie äußern dabei domänenspezifische Bedürfnisse, die sich vor allem auf inklusions- und sonderpädagogisches Wissen richten, aber weniger auf die Vermittlung des mathematischen Gegenstandes. Dabei wird gerade die reflektive Vernetzung dieser Aspekt in der Lehrtätigkeit als das zentrale Moment angesehen. Darüber hinaus verweisen sie auf die Annahme, dass auch über das Unterrichtsfach Mathematik hinaus der Umgang mit Ungewissheit als Professionalisierungsmoment einen zentralen Aspekt inklusionsbezogener Professionalisierung von Lehrpersonen darzustellen scheint. Hier wird daher ein vielversprechender Ausgangspunkt für die qualitative Weiterentwicklung universitärer Lehrer:innenbildung sowie der Fortbildung vermutet.
Status: abgeschlossen
Laufzeit des Projekts: März 2018 – Februar 2021
Universität Paderborn
Prof.in Dr.in Simone Seitz / Free University of Bolzano / General Didactics and Inclusion / Faculty of Education / Competence Centre for Inclusion / Regensburger Allee 16, Viale Ratisbona / 39042 Brixen – Bressanone Italy / Simone.Seitz(at)unibz.it
Prof. Dr. Uta Häsel-Weide / Universität Paderborn, EIM, Warburger Str. 100, 33098 Paderborn / https://fddm.uni-paderborn.de/personen/arbeitsgruppen/ag-haesel-weide / uta.haesel.weide(at)math.uni-paderborn.de
Downloads / Links
Aufsatz in der Zeitschrift QfI
Mit Aufgaben im inklusiven Mathematikunterricht professionell umgehen. Erkenntnisse einer Interviewstudie mit Lehrpersonen der Sekundarstufe(PDF - 471 KB)

Sammelbandbeitrag (PDF)
Beitrag des Projekts IMAgINE im Sammelband "Qualifizierung für Inklusion - Sekundarstufe" (2022) herausgegeben von Felix Buchhaupt, Jonas Becker, Dieter Katzenbach, Deborah Lutz, Alica Strecker und Michael Urban.(PDF - 3 MB)
Team

Prof.in Dr.in Simone Seitz
Projektleitung
Simone.Seitz(at)unibz.it

Melina Wallner
wissenschaftliche Mitarbeit

Yannik Willke
wissenschaftliche Mitarbeit

Prof.in Dr.in Uta Häsel-Weide
Projektleitung
uta.haesel.weide(at)math.uni-paderborn.de

Lara Kathrin Heckmann
wissenschaftliche Mitarbeit
Transferprodukte und Praxismaterialien

Wie werden aus Studierenden Expert:innen für inklusiven Mathematikunterricht?
Im Projekt wurden zwei Module für die Lehrkräftebildung entwickelt: eines mit dem Schwerpunkt Fachdidaktik und eines mit dem Schwerpunkt inklusive Didaktik.
Die entwickelten Materialien werden auf Anfrage bereitgestellt und können dabei von den Lehrenden adaptiert werden.
Veröffentlichungen
Häsel-Weide, U., Seitz, S., Wallner, M., Wilke, Y. & Heckmann, L. (2021). Mit Aufgaben im inklusiven Mathematikunterricht professionell umgehen – Erkenntnisse einer Interviewstudie mit Lehrpersonen der Sekundarstufe. QfI – Qualifizierung für Inklusion, 3(1), doi: 10.21248/QfI.57
Häsel-Weide, U., Seitz, S., Wallner, M. & Wilke, Y. (2022). Professionalisierung für inklusiven Mathematikunterricht. Interdisziplinäre Seminarkonzeption zur reflexiven Professionalisierung angehender Mathematiklehrkräfte in der Sekundarstufe. In D. Lutz, J. Becker, F. Buchhaupt, D. Katzenbach, A. Strecker & M. Urban (Hrsg.), Qualifizierung für Inklusion. Sekundarstufe (S. 83-100). Münster: Waxmann.
Heckmann, L. K., & Häsel-Weide, U. (2020). Aufgaben für den inklusiven Mathematikunterricht – aus Sicht von Lehrkräften. In H.-S. Siller, W. Weigel & J. F. Wörler (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2020 (S. 393-396). WTM.
Reh, A., & Wilke, Y. (2021). Lehrerkooperation im Kontext habitualisierter Abgrenzungspraktiken im inklusiven Unterricht: Ein Regressions-Innovations-Dilemma.Zeitschrift für Inklusion, 4. https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/607
Seitz, S., Häsel-Weide, U., Wilke, Y., & Wallner, M. (2023). Expertise and professionalism for inclusive (mathematics) teaching and learning: reflections on findings from interdisciplinary professionalisation research. Teachers and Teaching: Theory and Practice. Vol. 29, https://doi.org/10.1080/13540602.2023.2284876
Seitz, S. & Wilke, Y. (2021). „Dann hab` ich das einfach gemacht“ – Leistungsbeurteilung im inklusiven Unterricht der Sekundarstufe I. Schule inklusiv (11). 35-36.
Seitz, S., Häsel-Weide, U., Wilke, Y., Wallner, M., & Heckmann, L. (2020). Expertise von Lehrpersonen für inklusiven Mathematikunterricht der Sekundarstufe – Ausgangspunkte zur Professionalisierungsforschung. k:ON Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung 2 (2), 50-69. https://doi.org/10.18716/ojs/kON/2020.2.03
Wilke, Y., Faix, A. – C., & Reh, A. (2024). Ambiguitätstoleranz und Abgrenzungspraktiken von Lehrkräften in Kollegien inklusiver Schulen. In I. Bosse, K. Müller, & D. Nussbaumer (Hrsg), Internationale und demokratische Perspektiven auf Inklusion und Chancengerechtigkeit (pp. 129-138). Julius Klinkhardt.https://doi.org/10.35468/6072
Wilke, Y. & Reh, A. (2023). Ungenutze Innovationspotenziale inklusiver Unterrichts- und Schulentwicklung. Orientierungsmuster der Abgrenzung und funktionelle Regelverstöße. Empirische Pädagogik 37(3), 334-349.
Wilke, Y., & Schmidt, T. L. (2024). Schüler*innenfeedback als Bestandteil einer neuen Leistungskultur im Mathematikunterricht – divergierende Überzeugungen von Lehrkräften in Sekundarstufe. Zeitschrift für Inklusion, 19(3), 155-171. https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/809
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Fachbereich Erziehungswissenschaften
Institut für Sonderpädagogik
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