Erzähl- und Lesekompetenz erfassen und fördern – Entwicklung einer digitalen Prozessdiagnostik mit integriertem adaptiven Förderkonzept für den Elementar- und Primarbereich

(Prof.in Dr.in Tanja Jungmann & Dr.in Marlene Meindl)

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Erzähl- und Lesekompetenz erfassen und fördern – Entwicklung einer digitalen Prozessdiagnostik mit integriertem adaptiven Förderkonzept für den Elementar- und Primarbereich

Im Rahmen des Projektes EuLe-F wird das Verfahren EuLe 4-5 (Meindl & Jungmann, 2019a) digitalisiert und zu einem prozessdiagnostischen Instrument der Erzähl- und Lesekompetenzen im Übergang vom Kindergarten in die Grundschule weiterentwickelt. Darauf aufbauend werden adaptive Fördermöglichkeiten für die Bereiche Erzählkompetenzen, Schriftwissen, Phonologische Bewusstheit, Wortbewusstheit, Schriftbewusstheit und Buchstabenkenntnis (rezeptiv/produktiv) konzipiert. Projektziel ist die Verbesserung der diagnosegeleiteten, evidenzbasierten Literacyförderung im Elementar- und Primarbereich. Die förderdiagnostischen Materialien werden unter Berücksichtigung der Einschätzungen der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte optimiert und in den Bildungsinstitutionen implementiert. Dieser Prozess wird durch formative Evaluation begleitet. Zudem wird im Rahmen der summativen Evaluation überprüft, inwiefern die Kinder in ihren frühen literalen Kompetenzen von der adaptiven Förderdiagnostik profitieren. Nachdem die Güte und die Effektivität des digitalisierten Verfahrens im Projekt überprüft wurde, soll allen pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften im Primarbereich ein marktfähiges Produkt (Diagnose- und Förder-App) zur Verfügung stehen. Die Dissemination der Projektergebnisse erfolgt über Praxishandbücher und wissenschaftliche Publikationen.

Das Projekt EuLe-F bearbeitet folgende Forschungsfragen:

  • Erleichtert der Einsatz der digitalisierten Prozessdiagnostik EuLeApp© die Einschätzung der frühen literalen Kompetenzen und das Treffen von sinnvollen Förderentscheidungen durch die Fachkräfte?
  • Sind durch den Einsatz der adaptiven Fördermaterialien im Kita-Alltag positivere literale Lern- und Entwicklungsverläufe bei den Kindern nachweisbar?

Beim computerisierten, adaptiven Testen (CAT), das in der EuleApp© realisiert wird, werden auf der Basis des Antwortverhaltens des Kindes nur die Items präsentiert, die einen hohen Informationsgehalt bezüglich der literalen Kompetenzen des Kindes haben. Das Lösungsverhalten wird fortwährend nach der Beantwortung eines jeden Items berechnet und die Aufgaben aufgrund eines Algorithmus automatisch ausgewählt. Dafür greift die App auf einen Itempool von über 200 Items zu, der möglichst homogene Items mit fein abgestufter Verteilung der Itemschwierigkeiten enthält. Diese werden im Rahmen der ersten Projektphase zur Kalibrierung der Items ermittelt. Anschließend werden die Items in digitalisierter, kindgerechter Form (eingebettet in eine Rahmengeschichte) über die EuLeApp© verfügbar gemacht. Durch die Verknüpfung der Module und die in Relation gesetzten Daten wird die Ausgabe in ein Auswertungsportal (Testergebnisse, Statistiken etc.) ermöglicht (Meindl, Stuhr, Nicosia & Jungmann, 2022).

Die Entwicklung der Fördermöglichkeiten, die auf die ermittelten Stärken-Schwächen-Profile abgestimmt sind, orientiert sich an der einschlägigen nationalen und internationalen Literatur und den eigenen Erfahrungen aus Vorläuferprojekten zur Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte. So birgt die sprachliche Begleitung von Spielaktivitäten und die gezielte Nutzung von Schrift im Freispiel ein hohes sprach- und literacyförderliches Potenzial, das aktuell aber noch zu wenig genutzt wird (z. B. Wildgruber et al., 2016; Cordes et al., 2019). Zur Umsetzung einer an die literalen Lernausgangslagen der Kinder angepassten, alltagsintegrierten Förderung wurde u. a. die Spielebox aus dem GIF-Plus Projekt (Gornik et al., 2022) weiterentwickelt. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von bekannten und neuen Spielideen zur Entwicklungsförderung. In ihrer ursprünglichen Fassung enthielt sie 37 Spiele zur alltagsintegrierten Förderung der sprachlich-literalen Kompetenzen (Jungmann et al., 2018), die um Impulse für die literacyförderliche Raumgestaltung und Spielaktivitäten zur Förderung aller Teilaspekte der Early Literacy, die mit der EuLeApp© erfasst werden, ergänzt wurde. Den Rahmen für den alltagsintegrierten Einsatz der Förderspiele bildet die Förderlandkarte Die Eulen-Insel (Abbildung 1). Sie besteht aus sechs Landschaftsbereichen mit Wimmelbildcharakter, die die sechs Early Literacy-Kompetenzbereiche repräsentieren. Diese können die Kinder gemeinsam mit der Handpuppe Eulalie von Living Puppets erkunden (Stuhr et al., 2023).

Abb. 1_ Förderlandkarte Die Eulen-Insel

Abb. 2_ Förderschatzkiste

Die dazugehörige Förderschatzkiste enthält derzeit insgesamt 103 Ideen für analoge, alltagsintegrierte Förderspiele und 31 Impulse für eine literacyförderliche Gestaltung des Gruppenraums im Karteikartenformat (Abbildung 2), die den Landschaftsbereichen der Förderlandkarte zugeordnet sind (Tabelle 1).

Mit ihnen kann die frühe literale Kompetenz in jeder Alltagssituation der Kita gefördert werden. Die Impulse und Aktivitäten kommen allen Kindern zugute. Durch individuelle Variations- und Anpassungsmöglichkeiten können aber auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Bedarfen lernwirksame Vorerfahrungen mit Schrift und Buchstaben in ihrer Umgebung machen und an den spielerischen Aktivitäten partizipieren (orientiert am Universal Design for Learning, Campbell, Kennedy & Milbourne, 2012).

Landschaftsbereich

Early Literacy Kompetenz

Anzahl der Spiele und Impulse

„Dorf der Schrift“

Schriftbewusstheit

11 Spiele, 14 Impulse

„See des Schriftwissens“

Schriftwissen

6 Spiele, 4 Impulse

„Moor der Worte“

Wortbewusstheit

19 Spiele, 3 Impulse

„Wald der Laute“

Phonologische Bewusstheit

31 Spiele, 1 Impuls

„Wiese der Buchstaben“

Buchstabenkenntnis

21 Spiele, 2 Impulse

„Strand der Geschichten“

Erzählfähigkeit

15 Spiele, 7 Impulse

Tabelle 1: Übersicht über die Förderschatzkiste

Die Karten enthalten auf der Vorderseite Angaben zur situativen Verwendung (z.B. Bilderbuchbetrachtung, Morgenkreis, Freispiel, Musizieren), zur geschätzten Dauer, zum empfohlenen Altersbereich der Kinder, zur Personenzahl und zu benötigten Materialien für die Umsetzung. Zudem wird die Durchführung des Förderspiels auf der Vorderseite kurz, aber möglichst illustrativ beschrieben. Drei Schwierigkeitsstufen ermöglichen die Anpassung der sprachlichen, kognitiven und motorischen Anforderungen des Förderspiels an die individuellen Lernausgangslagen, um allen Kindern die Teilhabe am Spielgeschehen zu ermöglichen. Auf der Rückseite der Förderkarten finden sich Ideen für weitere Spielvariationen, mögliche Fragen an die Kinder, Reflexionsfragen für pädagogische Fachkräfte und Tipps für weiterführende Literatur und Materialien. Die Abbildungen 3 und 4 zeigen beispielhaft zwei Karten aus der Förderschatzkiste zur alltagsintegrierten, adaptiven Förderung aus den Bereichen Schriftbewusstheit und Wortbewusstheit.

Abb.3_ Förderspiel Wildes Wuseln

Abb.4_ Förderspiel Buchstabensafari

Die Förderschatzkiste kann durch pädagogische Fachkräfte noch durch eigene Förderideen erweitert werden. Dafür stehen Blanko-Karten zur Verfügung (Stuhr et al., 2023).
Das Fördermaterial wird durch ein Handbuch im DIN A5-Format ergänzt. Neben einigen Hintergrundinformationen rund um Early Literacy-Aktivitäten enthält es eine Anleitung für den Einsatz von Förderlandkarte, Förderschatzkiste und Handpuppe im pädagogischen Gruppenalltag sowie für die Einzelförderung, nützliche weiterführende Links und Literaturempfehlungen.

Im dritten Arbeitsschritt erfolgt die Implementierung in die Alltagspraxis der Kindertageseinrichtungen sowie der ersten Grundschulklassen. Über den Einsatz der EuLeApp© erhalten die pädagogischen Fachkräfte eine computerisierte Auswertung der Lernverlaufskurven für einzelne Kinder bzw. die gesamte Kindergruppe. Die Prozessdiagnose wird systematisch über die App mit den Fördermöglichkeiten verbunden, sodass die pädagogischen Fachkräfte gezielte Hinweise zur Förderung der literalen Kompetenzen im Alltag erhalten. Im Rahmen der formativen Evaluation erfolgt ein regelmäßiger Austausch über die Praxistauglichkeit der EuLeApp© und der entwickelten Fördermöglichkeiten in Fokusgruppen mit den beteiligten Fachkräften. Die Fokusgruppengespräche werden aufgezeichnet, transkribiert, ausgewertet und die Ergebnisse finden Eingang in die Förderempfehlungen.

Wenngleich die Digitalisierung den Fachkräften die Interpretation der Ergebnisse und die Ableitung von Förderimplikationen abnimmt, ist davon auszugehen, dass Kontextinformationen über das Kind im Einzelfall (Sprachentwicklung, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Status, häusliche Lernumgebung) die Modifikation von Förderentscheidungen erforderlich macht. Auch ist davon auszugehen, dass die Handhabung der Software zunächst Unsicherheiten auslösen wird. Die Materialien werden auch durch das begleitende Handbuch von vielen Einrichtungen als selbsterklärend empfunden. Allen Einrichtungen wurde aber das Angebot einer Kurzschulung gemacht, das etwa von der Hälfte der Einrichtungen angenommen wurde.

Untersuchungsinstrumente:

  • Ebene der Fachkräfte: Abhängige Variablen sind die förderdiagnostischen Kompetenzen. Sie werden über einen Fragebogen und halbstrukturierte Interviews erhoben. Als Kontrollvariablen werden das Ausmaß des Vorwissens der Fachkräfte sowie deren Erfahrung in alltagsintegrierter Förderung erfasst.
  • Ebene der Kinder: Abhängige Variablen sind (a) die frühen literalen Kompetenzen, die in der Kalibrierungsstichprobe mit dem Prototpyen der EuLeApp und in den beiden Untersuchungsgruppen mit gestuftem Treatment mit der EuLeApp© erfasst werden sowie (b) die Lese- und Rechtschreibleistungen am Ende der ersten und zweiten Klasse, die mit dem SLRT-II (Moll & Landerl, 2010) erhoben werden.  Als Kontrollvariablen werden die sprachlichen Kompetenzen der Kinder im Vor- und Grundschulalter über den SET 3-5 (Petermann, 2016) bzw. den SET 5-10 (Petermann, 2018) erfasst.
  • Zur Validierung der EuLeApp© kommt das LRS-Screening (Endlich et al., 2019) zum Einsatz.

Status: laufend

Laufzeit des Projekts: September 2021 – November 2024

Universität Rostock

Universität Oldenburg

Prof.in Dr.in Tanja Jungmann / C.v.O. Universität Oldenburg / Fakultät I / Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik / Postfach 2503 / 26111 Oldenburg / tanja.jungmann(at)uni-oldenburg.de

Dr.in Marlene Meindl / Universität Rostock / August-Bebel-Str. 28 / 18055 Rostock / marlene.meindl(at)uni-rostock.de

Downloads / Links

Hier geht es zur EuLe-F-Seite auf der Homepage der Universität Oldenburg.

Hier geht es zur EuLe-F-Seite auf der Homepage der Universität Rostock.

Hier geht es zum finalen Projektvideo von EuLe-F.

Projektvorstellung (PP-Präsentation)

Präsentationsfolien zur Vorstellung des Projekts im Rahmen der Auftaktveranstaltung der Förderrichtlinie (März 2022) (PDF - 1 MB)

TEAM

Das Projekt EuLe-F ist ein Verbundprojekt, das an mehreren Standorten unterschiedliche Teilprojekte bearbeitet. 

Prof.in Dr.in Tanja Jungmann

Verbundkoordination und Projektleitung Teilprojekt: EuLe-F Förder-App und Implementierung

tanja.jungmann(at)uni-oldenburg.de

Dr.in Marlene Meindl

Projektleitung
Teilprojekt: EuLe-F Diagnostik-App

marlene.meindl(at)uni-rostock.de

Tabea Testa

Wissenschaftliche Mitarbeit

tabea.testa(at)uni-oldenburg.de

Dr.in Melike Yumus

Wissenschaftliche Mitarbeit
Teilprojekt: EuLe-F Implementierung

melike.yumus(at)uni-oldenburg.de

Dr.in Christina Stuhr

Wissenschaftliche Mitarbeit
Teilprojekt: EuLe-F Diagnostik-App

christina.stuhr(at)uni-rostock.de

VERÖFFENTLICHUNGEN

Stuhr, C., Yumus, M., Meindl, M., Jungmann, T., & Hughes, C. M. L. (2024). Exploration of latent early literacy profiles in German kindergarten children using a newly developed app. Frontiers in Education, 9:1350266. DOI: 10.3389/feduc.2024.1350266.

Testa, T., Yumus, M., Wandel, S.-T., Stuhr, C., Meindl, M. & Jungmann, T. (in Druck). Digitalisierte, prozessorientierte Diagnostik und adaptive Förderung der frühen literalen Kompetenzen von Kindern mit SES und LRS-Risiko – Erste Befunde aus dem Verbundprojekt EuLe-F. Erscheint in: W. Stöhr, M. Podszus & G. Schulze (Hrsg.), Handbuch Rehabilitationspädagogik. Bad Heilbrunn, Leipzig: Julius Klinkhardt.

Meindl, M., Stuhr C., Yumus, M., Schlotmann., N. & Jungmann, T. (im Druck). Diagnostische Erfassung von Literacy-Kompetenzen. Sprachförderung und Sprachtherapie in Schule und Praxis, Sonderheft: Diagnostik.

Testa, T. & Jungmann, T. (submitted, under review). Bedeutung der phonologischen Bewusstheit als Teilkompetenz der Early Literacy. Sprache – Stimme – Gehör, Sonderheft: Update Phonologische Bewusstheit.

Stuhr, C., Testa, T., Meindl, M. & Jungmann, T. (2023). Prävention von Lese-Rechtschreibstörungen durch prozessorientierte Diagnose und adaptive, alltagsintegrierte Förderung der Early Literacy-Kompetenzen mit der EuLeApp. Sprachförderung und Sprachtherapie, 2/2023, 58-67.

Testa, T., Yumus, M., Wandel, S. T., Stuhr, C., Meindl, M. & Jungmann, T. (in Begutachtung). Digitalisierte, prozessorientierte Diagnostik und adaptive Förderung der frühen literalen Kompetenzen von Kindern mit SES und LRS-Risiko – Erste Befunde aus dem Verbundprojekt EuLe-F. Erscheint in: Stöhr, W., Podszus, M. & Schulze, G. (Hrsg.), Handbuch Rehabilitationspädagogik.

Stuhr, C., Yumus, M., Meindl, M., Jungmann, T. & Hughes, C.M.L. (in review, re-submitted). Exploration of latent early literacy profiles in German kindergarten children using a newly developed app. Frontiers in Education.

Meindl, M., Stuhr, C., Nicosia, R. & Jungmann, T. (2022). Adaptive Diagnostik und Förderung der frühen Erzähl- und Lesekompetenzen im Elementar- und Primarbereich mit der EuLeApp©. In M. Spreer, M. Wahl & H. Beek (Hrsg.), Sprachentwicklung im Dialog – Digitalität – Kommunikation – Partizipation. Idstein: Schulz-Kirchner.

Goethe-Universität Frankfurt
Fachbereich Erziehungswissenschaften
Institut für Sonderpädagogik
Theodor-W.-Adorno-Platz 6
D-60629 Frankfurt am Main